Praktikum vom 11.05.2023 bis zum 27.05.2023
von Anna Helmke und Charlotte Steven
Die Verheißungen eines fremden Landes, ja eines fremden Kontinents waren riesig. Und wie sollten ausgerechnet wir, zwei gerade erst volljährige Schülerinnen aus Aurich, angesehenen Forschern des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie
und Binnenfischerei in Berlin in Mexiko eine Hilfe sein? Wir haben auf jeden Fall sehr viel gelernt. Aber der Reihe nach:
Am 11.05.2023 brachen wir mit dem Zug auf nach Berlin, wo wir in einem Hotel in der Nähe des Flughafens übernachteten. Dort konnten wir die anderen Teammitglieder (Prof. Dr. Jens Krause, Dr. David Bierbach, Korbinian Pacher, Yunus, Carla) morgens direkt am Flughafen treffen. Wir merkten gleich, dass wir uns mit dem Professor und den anderen Teammitgliedern sehr gut verstehen würden. Sie begegneten uns nicht gar von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Nach der anstrengenden Anreise verbrachten wir unsere erste Nacht in Mexiko im örtlichen Holiday-Inn.
Nachdem wir am nächsten Morgen zwei Autos gemietet hatten, ging es zunächst zur Universidad Juárez Autónoma de Tabasco. Dort durften wir erst einmal das Gelände kennenlernen, das verschiedenste Vogel- und Fischarten, Krokodile und Wasserschildkröten zu bieten hatte. Wir lernten auch Prof. Dr. Lenin Arias Rodriguez kennen, mit dem das Team eng zusammenarbeitet und nahmen einiges an Equipment mit, das auf dem Gelände gelagert wurde. Schließlich machten wir uns auf den Weg zur Station in Teapa, wo wir die nächsten zwei Wochen wohnen sollten. Vorort wurden wir bereits herzlich von einem weiteren Forschungsteam aus den USA empfangen, mit dem wir uns auch den Wohnraum teilten. Nach dem ersten Einrichten fuhren wir noch am selben Tag zu unserem Untersuchungsort für die darauffolgende Zeit.
Wir arbeiteten an unterschiedlichen Stellen eines schwefelhaltigen Flusses, der zum Teil durch das Grundstück des Kurbades „Hacienda Los Azufres Aguas Termales“ führt. Die Objekte unserer Forschung waren die Schwärme der beiden Fischarten ,,Sulphur-Mollies“ und ,,Gambusen“, die in dem Fluss leben. Durch den geringen Sauerstoffgehalt im Wasser schwimmen diese tagsüber an der Wasseroberfläche und produzieren bei einem Vogelangriff zum Schutz sogenannte „Waves“. Dabei tauchen die vom Angriff betroffenen Fische des Schwarms ab, was die jeweils benachbarten Fischindividuen unmittelbar nachahmen. Wie eine Welle wird diese Bewegung weitergegeben, sodass wellenartige Strukturen an der Wasseroberfläche entstehen. Diese sollen den Schwarm durch Verwirrung der Angreifer vor weiteren Angriffen schützen. Genau dieses Verhalten steht im Mittelpunkt des Interesses unseres Forschungsteams: Zu diesem Zweck teilten wir uns täglich in drei Teams auf (Team 1: Prof. Krause&Charlotte, Team 2: Pacher&Anna, Team 3: Bierbach&Yunus&Carla), wobei Team 3 an anderen Fragestellungen arbeitete. Unsere Arbeit bestand überwiegend darin, möglichst viele Attacken von Eisvögeln (Green Kingfisher) und Kiskadees (Great Kiskadee) auf die Schwärme zu filmen. Diese stellen die Hauptfressfeinde unserer Untersuchungsobjekte dar.
Dazu haben wir Kameras am Fluss aufgestellt und die Attacken für die Aufzeichnung angesagt. Unsere Aufgabe bestand auch in der schriftlichen Dokumentation der Angriffe nach der Vogelart, deren Erfolg und der Lokalisation des Angriffs im Bezug zur Schwarmposition, also innerhalb oder außerhalb des Schwarms. Anhand dieser Beobachtungen konnten wir bereits verschiedene Erkenntnisse ableiten. Interessant war beispielsweise, wie sich die Frequenz der Angriffe und die Erfolgsrate der beiden Vogelarten unterschieden hat. Die Eisvögel haben deutlich seltener angegriffen, dafür aber eine größere Erfolgsrate als die Kiskadees. Außerdem war auffällig, dass die Entscheidungen der Eisvögel zu Angriffen außerhalb des Schwarms damit zusammenhängen, wie viele „Waves“ der Schwarm produziert.
Das reine Filmen der Vögel klingt zunächst gar nicht so schwierig, aber die Vögel greifen natürlich nicht immer da an, wo es für die Aufnahme am günstigsten wäre. Oftmals auch z.B. außerhalb des Kameraausschnitts, weshalb wir versucht haben die Angriffspunkte zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Da die Vögel gerne von herabhängenden Ästen etc. über dem Wasser angreifen, konnten wir die Vögel durch das Entfernen und Anbringen von größeren Ästen zumindest bedingt lenken. Dennoch sind es immer noch wilde Tiere, die nicht an Menschen gewöhnt sind. Entsprechend mussten wir auch sehr vorsichtig und ruhig sein, um nah genug an sie heranzukommen ohne sie zu verscheuchen. In der Hinsicht war daher ein Platz nahe dem Kurbad von Vorteil, zumal die Vögel dort schon stärker an die Menschen gewöhnt waren.
Am Ende jedes Tages mussten wir zudem kalibrieren. Das heißt, einer aus dem Team ist mit dem Kalibrierungsgerät (eine Art Quadrat bekannter Größe aus Rohren) in den Fluss gestiegen und hat dieses über die Wasseroberfläche gezogen. So kann später am Computer der Kamerawinkel und die damit einhergehende Verzerrung rekonstruiert werden, sodass eine 2D-Betrachtung, sowie genauere Vermessungen der „Waves“ etc. möglich werden. Das ist wichtig, um präzisere Informationen über die Länge, Größe und Ausbreitung der Reaktionen der Fische zu erhalten. Dieses Wissen wiederum kann vielfältig genutzt werden, da es sich um Grundlagenforschung handelt. Die Erkenntnisse könnten so Auswirkungen auf Bereiche wie künstliche Intelligenz, Ökologie und Psychologie haben.
Ein Experiment, was wir durchgeführt haben, bestand darin einzelne Fische zu markieren und anschließend zu filmen, wie sie sich im Schwarm bei einer „Wave“ verhalten. Dazu hat entweder Anna oder Charlotte die Fische mit Professor Krause gefangen und die jeweils andere am Ufer die Fische stimuliert, um die Reaktion des Abtauchens der Fische auszulösen. Das Ganze wurde von oben herab gefilmt. Zunächst funktionierte das Ganze aber nicht richtig, weil das Wasser entweder zu stark reflektierte, die Fische aus dem Kameraausschnitt heraus schwammen oder die Kameraperspektive nicht stimmte. Das Experiment wurde laut Professor Krause deswegen in den vergangenen Jahren auch nicht durchgeführt. Am nächsten Tag gelang es zur großen Freude des Professors mit optimierten Bedingungen jedoch hervorragend. Das Team hofft nun darauf, dass später am Computer aus den Aufnahmen wichtige Informationen über das Tauchverhalten der Fische gewonnen werden können. Um die einzelnen Fische im Schwarm wiederzuerkennen, wurden sie mithilfe einer Spritze mit pinker Farbe markiert. Dies durften wir dann auch einmal in dem Süßwasserfluss in der Nähe, in dem wir nach der Arbeit oft zum Baden waren, an größeren Fischen ausprobieren. Die Sulphur-Mollies sind dagegen oftmals nur 1-2 cm groß und damit nicht ganz so einfach zu markieren.
Neben dem Filmen der markierten Fische, haben wir auch Unterwasseraufnahmen mit verschiedenen Stimulationen aufgenommen. Dafür haben wir Go-Pros unter Wasser installiert und anschließend in regelmäßigen Abständen den Schwarm entweder durch einen Schuss in den Schwarm mit einer Art Schleuder oder durch einen visuellen Reiz immer wieder gleichmäßig stimuliert. Zuletzt haben wir auch versucht den tatsächlichen Angriff eines Vogels zu dokumentieren, was aufgrund der geringen Sichtweite und den unzähligen möglichen Angriffspunkten jedoch weniger erfolgreich war.
Unsere Arbeit im Feld verlief insgesamt eigentlich – abgesehen von mitunter längerer Zeit ausbleibenden Vogelattacken, heiß gelaufenen Akkus und einer Krokodilbegegnung - ohne größere Probleme. Der Montag der zweiten Woche stellte jedoch eine Ausnahme dar. An diesem Tag fanden Bauarbeiten bei der „Hacienda Los Azufres Aguas Termales“ statt. Das abgestandene und mit viel Schwefeloxid angereicherte Wasser aus einem Wasserbecken wurde in den Fluss abgelassen. Auf Grund des hohen Schwefelgehaltes, den hohen Temperaturen und dem resultierenden geringen Sauerstoffgehalt fand im Fluss ein großes Fischsterben statt. Um es ganz hart auszudrücken: wir mussten den Fischen beim Sterben zugucken. Nur ganz kleine Schwärme mit jungen Fischen konnten am Uferrand überleben.
Nachdem der Film von toten Fischen auf dem Wasser weniger geworden war und man dadurch davon ausgehen konnte, dass das Wasser wieder anfing, sich zu regenerieren, konnte man mehr oder weniger den Boden sehen. Und dieser schimmerte silbern durch die ganzen Fischleichen, die auf den Grund gesunken waren. Folglich wurden die aufgenommenen Daten von Team 2 und 3 stark verfälscht und die Teams mussten die Arbeit für diesen Tag einstellen. Team 1, also Charlotte und Prof. Dr. Jens Krause waren nicht von dem Fischsterben betroffen, weil sie weiter flussaufwärts gearbeitet hatten.
In der zweiten Woche waren das unsrige und das amerikanische Forschungsteam zudem nach Villahermosa zu einem Meeting mit dem neuen Präsidenten der Universität eingeladen. Dieser fördert verschiedene Projekte, die von Prof. Lenin geleitet werden und war an dieser internationalen Zusammenarbeit mit unseren Forschungsteams interessiert. Nachdem wir die Räumlichkeiten, voller Tanks mit verschiedenen Fischen und Schildkröten besichtigen durften, die im Rahmen eines Projektes zum Artenschutz wieder ausgewildert werden sollen, trafen wir schließlich in einem Konferenzraum den Präsidenten. Zunächst hat Prof. Lenin einen kurzen Vortrag zu seiner Arbeit gehalten und wir konnten anschließend im Gespräch mit dem Präsidenten von unserer Forschung berichten. Ihn interessierte vor allem der gesellschaftliche Nutzen der Schwarmforschung, wie z.B. die Anwendung in der Krebsfrüherkennung oder im Zusammenhang mit der KI. Anna und Korbinian sind allerdings nicht mitgekommen und haben den Tag stattdessen am Fluss verbracht und weitere Aufnahmen gemacht. Das verlief erst sehr gut, ab Mittag nahmen die Attacken jedoch stark ab. Zum Abschluss des Tages, als die beiden vom Rest des Teams abgeholt worden waren, sind alle zusammen an einem großen Fluss zum Schwimmen gefahren. Die Landschaft war in den Abendstunden wieder einmal wunderschön. In der Strömung des Flusses konnte man sich treibenlassen und von der Hitze (täglich ca. 38 Grad) des Tages erholen.
Nach der Arbeit gingen wir jeden Abend essen, weil es in der Station keine Kochmöglichkeit gab. Wir wechselten zwischen einer Taquería (also ein kleines Restaurant für Taccos) und dem Restaurant „Jacalitos“, wobei in beiden das mexikanische Essen sehr lecker und nicht so teuer war. Besonders war, dass man selber nach eigener Wahl scharfe Soßen hinzufügen konnte und die Gerichte damit variieren konnte. Zwischendurch sind wir gelegentlich auch zusammen mit dem amerikanischen Forschungsteam essen gegangen. Wir schoben dann alle Tische zusammen, so dass es eine riesige Tafel für alle 15 Personen ergab. Dadurch haben wir nebenbei auch ein wenig über das Leben und die Forschung an der Universität in den USA erfahren.
Einen Abend haben wir auch zusammen mit den US-Amerikanern in der Station verbracht, wobei wir uns über die verschiedenen Forschungsprojekte austauschten. Nach einem gemeinsamen Essen erzählte jeder reihum von seinem Projekt. Dabei stellte sich heraus, dass in dem anderen Team alle ihr eigenes Projekt haben. Es war sehr interessant zu sehen, auf wie viele verschiedene Weisen und Fragestellungen hin man ein und dieselben Fische untersuchen kann. Dies hat uns Stipendiatinnen die Möglichkeit gegeben, auch über unsere Arbeit hinaus mehr über Forschungsarbeit zu erfahren: von der Findung des Forschungsthema, über das Formulieren von Anträgen, bis hin zum Erstellen von Publikationen und dem Alltag als Wissenschaftler. Aber auch wir beide durften von unseren Erfahrungen berichten, z.B. wie wir durch die Auricher Wissenschaftstage diese einmalige Chance zu dieser Forschungsexpedition erhalten haben. Schließlich haben wir den Abend gemeinsam angenehm ausklingen lassen.
4 Tage vor unserer Abreise stand schließlich unser freier Tag an. Mit dem Auto fuhren wir nach Villa Luz, um dort zunächst die Wasserfälle „Cascadas de Aguascalientes Sulfurosas“ zu besichtigen. Ganz in der Nähe befand sich auch die Höhle „Cueva de las sardinas“, in die wir - ausgerüstet mit Stirnlampen - hineinkletterten. Neben Fledermäusen und den Cueva-Mollys, die unser Hauptinteresse darstellten, fanden wir auch ein verirrtes Huhn. Wir retteten es kurzerhand und übergaben es an eine einheimische Familie. Im Anschluss waren wir in den Wasserfällen schwimmen. Danach sind wir, um den Tag voll auszunutzen, zu zwei weiteren Höhlen gefahren. Die erste Höhle war eine reine Fledermaus-Höhle. Wir konnten verschiedenste Fledermäuse aus nächster Nähe beobachten, unter anderem auch eine blutsaugende Art (Vampir-Fledermäuse), weshalb der Boden der Höhle überall mit kleinen Blutpools aus verdautem Blut bedeckt war. Die andere Höhle war eine Tropfsteinhöhle. Leider konnte Anna aufgrund einer leichten Lebensmittelvergiftung den Tag nicht so genießen und die letzten Höhlen nicht ebenfalls erkunden. Als wir anschließend in die benachbarte Stadt Tapijulapa gefahren sind und im Restaurant gegessen haben, war sie aber auch wieder beim anschließenden Rundgang durch die Stadt dabei.
Am Samstag den 27.05. war es dann schon wieder an der Zeit, unsere Sachen zusammenzupacken und die Ausrüstung in der Station abzubauen. Danach sind wir zurück nach Villahermosa zur Universität gefahren, haben dort unsere Sachen eingelagert und sind, wie auf dem Hinweg, zum Holliday-Inn gefahren. Dort haben wir unsere letzte Nacht verbracht, um dann morgens unsere Reise zurück nach Berlin anzutreten. Nach der Verabschiedung des gesamten Teams haben wir die letzte Nacht alleine in Berlin im Hotel verbracht, bevor wir am nächsten Tag mit dem Zug zurück nach Aurich fuhren.
Abschließend können wir sagen, dass es eine sehr erfahrungsreiche, spannende, lehrreiche sowie interessante Reise war, auf der wir tolle Menschen kennen gelernt und viel erlebt haben. Darüber hinaus war es eine einzigartige Chance, einen Einblick in die Arbeit als Wissenschaftler zu gewinnen und viele Fragen stellen zu können, die uns immer ausführlich und herzlich beantwortet wurden. Wir konnten auch neben der eigentlichen Arbeit viele Eindrücke mitnehmen, ganz abgesehen von der Natur, der Kultur und den vielen neuen Tierarten, die wir in Mexiko kennenlernen durften.
Wir möchten uns nochmal ganz herzlich bei Professor Krause und dem ganzen Team für diese Erfahrung fürs Leben bedanken. Ebenfalls möchten wir unseren Dank an die Organisatoren der Auricher Wissenschaftstage Frau Groen, Herr Engelbart und Herr Busker, sowie denen des Leipzig-Instituts in Berlin, aussprechen, die diese ganze Reise überhaupt erst möglich gemacht haben.